Das Ende der Idylle? Hufeisen- und Krugpfuhlsiedlung in Britz vor und nach 1933

17. Mai – 29. Dezember 2013

Licht, Luft und Sonne sind die zentralen Schlagworte, mit denen in den 1920er-Jahren der Aufbruch in die wohnungspolitische Moderne umschrieben wurde. In Berlin wird die Neuköllner Hufeisensiedlung zu einer Ikone dieser Bewegung. Sie vereint sozial-utopische Visionen mit einer neuen rationellen Bauform, die gering verdienenden Arbeitern und Angestellten bezahlbaren Wohnraum mit hohem Standard verspricht.

Nach Plänen von Bruno Taut und Martin Wagner entstehen auf den Britzer Feldern zwischen 1925 und 1933 die Hufeisensiedlung und nach Plänen von Paul Engelmann und Emil Fangmeyer zwischen 1925 und 1927 die Krugpfuhlsiedlung unter der

Bezeichnung Großsiedlung Britz. Zwar vereitelt die Weltwirtschaftskrise 1929 und die damit einhergehende hohe Arbeitslosigkeit die Chancen vieler Arbeiterinnen und Arbeiter, hier eine Wohnung zu finanzieren. Dennoch gelingt es einer ganzen Anzahl von Familien, die zum klassischen, aber eher gehobenen Arbeitermilieu gehören, eine Wohnung oder ein Haus in einer der beiden Siedlungen zu mieten.

Das Spektrum der Bewohner ist Ende der 1920er-Jahre vielfältig: Viele sind Mitglieder der Arbeiterparteien SPD oder KPD und gewerkschaftlich organisiert. Nach den wissenschaftlichen Recherchen des Museums Neukölln lebten 80 Familien jüdischer Herkunft in der Großsiedlung sowie 130 Künstlerinnen und Künstler. Mit der Verschiebung der politischen Machtverhältnisse 1933 zugunsten der NSDAP werden die lebendigen Beziehungen in der Großsiedlung Britz jedoch zerstört: Linksorientierte Familien verlassen fluchtartig die Siedlung, andere wählen die Emigration. Die freigewordenen Wohnungen werden schnell von Nationalsozialisten übernommen und es gelingt ihnen, auch in der Großsiedlung Britz ihre soziale Basis zu verbreitern.

Die recherchierten Fakten verdeutlichen diese Umwälzung sehr deutlich: Bereits 1928 sind 178 Bewohner der Siedlung Mitglied der NSDAP, 1933 sind es 442 und 1940 sogar 1 204. Unter ihnen lebte zwischen 1935 bis 1938 auch Adolf Eichmann, einer der Hauptorganisatoren des Holocaust. 16 Personen werden in einem Konzentrationslager interniert, davon kommen fünf Personen ums Leben. Darunter befindet sich auch der Anarchist und Schriftsteller Erich Mühsam, der bereits 1933 verhaftet und ein Jahr darauf im KZ Oranienburg ermordet wird. Insgesamt 33 jüdische Bewohner konnten rechtzeitig vor den Nazis fliehen.

In der Ausstellung führten 50 Türen symbolisch in die Lebensrealität der NS-Zeit. Jede Tür stand für eine reale Adresse, an der das beschriebene Ereignis stattgefunden hat. In einem Haus wird eine Jüdin versteckt, in einem anderen Haus eine Widerstandsaktion geplant und um die Ecke wohnt ein SS-Mann, der schon von seinen Ländereien in Polen träumt. So konnten die Ausstellungsbesucher anhand der jeweiligen biografischen Umstände ermessen, in welcher Weise das Leben der handelnden Personen von den Strukturen des NS-Regimes und seinen ausführenden Organen beeinflusst wurde. Eine Chronik von 1918 bis 1945 bietet eine zeithistorische Orientierung.

Das Digitale Archiv-Informationssystem DAISY, das den Besuchern auf iPads zur Verfügung stand, bot darüber hinaus eine umfangreiche Datenbank mit Namen und Adressen von über 1 400 Personen aus der Siedlung und ermöglichte eine detaillierte Recherche innerhalb von mehr als 300 Biografien.

Zur Ausstellung erschien ein Katalog mit 400 Seiten und zahlreichen Abbildungen, der zum Preis von 18,– Euro im Museum oder hier erworben werden kann.

Die Ausstellung war Teil des Themenjahres 2013 des Berliner Senats unter dem Titel „Zerstörte Vielfalt“.